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KRITIK - von Mag. art. Herbert ROTTER

Ein mäßig freundlicher Sonntag im Städtchen Skalica am Dreiländereck Slowakei, Tschechien und Österreich nahe der March. Friedliche Kleinstadtatmosphäre mit Frühlingsahnen auf dem Kirchenplatz, aber winterlicher Temperatur in der barocken Kirche St. Michael. Dennoch und trotz halbherziger Werbung etwa 80 erwartungsvolle Zuhörer. Ein durchaus attraktiver Pfarrer spricht einleitende Worte in slowakischer Sprache. An der neuen Walcker Orgel (Op 5942) die Stiftsorganistin von Lilienfeld Karen De Pastel.

Schon im ersten Stück, dem Praeludium in e-Moll von Nicolaus Bruhns, einem kleingliedrigen toccatenhaften Werk in typisch norddeutscher Manier, fällt die plastische Registrierung auf, mit der die Organistin die musikalische Architektur herausarbeitet. Das Zungenplenum vermittelt den Eindruck einer ’Großorgel’ mit weit mehr als den tatsächlich vorhandenen 19 Registern. Leider merkt man auch, dass man bei dieser Raumtemperatur (um 8°C) kaum eine einwandfreie Stimmung erzielen kann. (Die Zungen wurden kurz vor Konzerbeginn gestimmt!)

In ähnlichem Stil, doch mit größer angelegten Abschnitten geht es in der nächsten Nummer weiter: Praeludium und Fuge in fis-Moll von Dietrich Buxtehude. Wohldurchdachte Registrierung und musikalische Geschlossenheit führen zielstrebig zu einem strahlend virtuosen Schluss.

Die folgenden ’Canonischen Veränderungen über das Weihnachtslied “Vom Himmel hoch“ von Johann Sebastian Bach mögen nicht nur aus liturgischen Gründen zur kalten Kirche passen, sondern auch wegen ihrer hochgeistigen Kompositionstechnik, die an die Hörerschaft sehr hohe Ansprüche stellt. Bach hat in diese Partita alle möglichen polyphonen Kunststücke hineinverpackt, deren er in so besonderem Maße mächtig war. Die Hilflosigkeit mancher Hörer hat sich in voreiligem Applaus zwischen einzelnen Variationen verraten. Was aber dennoch für die Auswahl dieses Werkes gesprochen hat, ist die Möglichkeit, die Vielseitigkeit einer Orgel zu demonstrieren: gleichzeitiges Spiel auf zwei kontrastierenden Manualen, Triospiel, Cantus firmus im Pedal, Soloregistrierungen u. s. w. Karen De Pastel – wahrscheinlich die einzige Person in der Kirche, der nicht kalt war – hat diese Option meisterhaft aufgegriffen.

Mit Mozarts Phantasie in f-Moll wurde so mancher Zuhörer wieder versöhnt. Spricht doch diese Musik viel unmittelbarer an die meisten Ohren, selbst in den Fugenteilen, in denen sich Mozarts Meisterschaft auch als Kontrapunktiker unter Beweis stellt. De Pastel entschied sich für die traditionelle Interpretation, nämlich die einer großen und auch dynamisch die ganze Orgel nützende Sonate. Spätestens seit den Rekonstruktionsversuchen Dr. Helmut Kowars von der Akademie der Wissenschaften in Wien haben wir eine Vorstellung davon, wie diese Orgelwerke, die Mozart ja für einen Musikautomaten auftragsgemäß komponiert hat, in der Realität geklungen haben: mit nur einem Flötenregister und doppelt so schnell (wie es kein Organist zu spielen vermag). Die De Pastel’sche Interpretation mit ihren wuchtig gespielten Abschnitten wie auch mit dem kantablen Mittelteil kommt natürlich unseren Hörgewohnheiten viel näher und passt so auch besser zum großen Kirchenraum. Trotz des nicht originalen Tempos blieben der Organistin noch immer genug atemberaubend schwierige Passagen übrig, die sie wiederum souverän meisterte. Von beglückender Lieblichkeit gestaltete sie auch den Mittelteil (Andante), bei dem man die schönen Flötenstimmen der neuen Walcker-Orgel einmal so richtig genießen konnte.

Als Verneigung vor dem Patron der Kirche spielte De Pastel eine Eigenkomposition, die Partita ’O unbesiegter, starker Held, Sankt Michael’, die sie anlässlich des Jubiläumskonzertes ’50 Jahre Walcker-Mayer in Österreich’ im Sommer 2007 in Mödling zur Uraufführung gebracht hatte. Wiederum eine Partita, bei der alle Möglichkeiten der Orgel eindrucksvoll zur Geltung kamen. Stilistisch gemäßigt moderne, manchmal modal klingende Harmonien und technisch anspruchsvolle Stellen (Doppelpedal in der 4. Variation!) münden nach vollgriffigen Akkorden und bravourösen Läufen in einen strahlenden Dur-Schluss.

Folgt noch eine weitere Komposition De Pastels als Gruß aus ihrer Wirkungsstätte, dem Zisterzienserstift Lilienfeld: die Phantasie über den Bernardi-Hymnus. Eine Choralmelodie wird diesmal nicht als Partita, sondern in kurzen stark kontrastierenden Abschnitten frei verarbeitet; eine Struktur, die sowohl das Zuhören erleichtert als auch alle klanglichen und spieltechnischen Effekte des vielgestaltigen Instruments zulässt: pianistisches Laufwerk, Pedaltriller, mittelalterlich organale Klänge, Alain-Harmonien in gekonnter Abwechslung.

Hartnäckiger Applaus erzwingt eine erste Draufgabe: Das fünfstimmige Choralvorspiel "Wie glauben all" an einen Gott, Vater - von Johann Sebastian Bach, Orgelmusik vom Feinsten in solidester Interpretation, das noch einmal die Eignung der neuen Walcker-Orgel zur Wiedergabe der klassischsten Werke der Orgelliteratur unter Beweis stellt.

Das Publikum will noch immer nicht gehen. Mit Recht! Denn was jetzt kommt, hat Event-Charakter: ein Geburtstagsständchen für die liebenswürdige Gattin des Orgelbauers, Patricia Walcker-Mayer. Thema „Zum Geburtstag viel Glück...“ in Spieluhrmanier mit Zimbelstern. Ein gewiss seltenes Geschenk.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Programmauswahl hätte für diese barock-orientierte Orgel nicht besser getroffen werden können, wenn sie auch für die Zuhörer nicht immer eine leichte Kost darstellte. Die Interpretin hat trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen in ihrer bekannt temperamentvollen, von unbeugsamem musikalischen Gestaltungswillen getriebenen Art die Orgel so präsentiert, dass keine Steigerung mehr denkbar ist.

Die Registranten – auf sie vergisst man gern, in unserem Fall einheimische Organisten – waren bewundernswert verlässliche Partner.

Die Jahreszeit war leider für ein Orgelkonzert noch nicht reif!



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